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Buchtipp: „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“ von Dirk Stermann

Für verregnete Stunden im Bett: ein Herbst-Buchtipp

Kennt jemand von euch das Gefühl, wenn man sich beim Lesen eines Buches wünscht, es möge bitte niemals aufhören? Das Gefühl, dass einem fast davor graut, umzublättern und plötzlich ist da die letzte Seite, die einem erbarmungslos mitteilt, dass man wirklich und wahrhaftig am Ende angelangt ist? Ich hatte das tatsächlich bis dato noch nie – und das, obwohl ich in meinem Leben inzwischen doch schon ziemliche Bücherstapel verschlungen habe und dabei auch das ein oder andere Lieblingsbuch gefunden habe. Ich sage bis dato, weil sich vor ein paar Tagen ganz leise und unaufdringlich ein Buch in meiner exponentiell anwachsenden Leseliste vorgedrängelt hat, bei dem es mir tatsächlich zum ersten Mal genauso ging. Eben jenes Buch hatte ich bereits vor einigen Wochen im Sommer das erste Mal in der Hand, als ein Bekannter mich (ich war zu der Zeit noch Hospitantin bei Rowohlt) nach dem Autor fragte und mir selbst ganz verzückt von dem ungewöhnlichen Buch vorschwärmte. Der Bücherwurm in mir setzte das Buch natürlich direkt irgendwo zwischen Buch 26 und Buch 71 auf meine to-read-Liste und so landete es schließlich auch auf der Bücherbestellliste nach meiner Hospitanz. Da ich aktuell immer noch viel und gerne vor allem teils mühsame Klassiker „durchkaue“ und gerade auch noch nebenher Hausarbeit schreibe, habe ich zurzeit jedoch öfter das Bedürfnis nach einer „leichteren“ Lektüre, die sich ohne große geistige Höchstleistungen lesen lässt. Dass der Stermann aufgrund des schönen Covers schon länger neben meinem Bett lag, war wohl Glück für uns beide – jedenfalls habe ich die beiden regnerischen letzten Tage mit ihm im Bett verbracht und bin dabei Stück für Stück dahingeschmolzen.

 

Feinster Humor trifft auf ganz leise Traurigkeit, die unter die Haut geht

Denn was Stermann da macht, ist auf einzigartige Weise wunderbar; man kann es nicht anders beschreiben. Aus alltäglichen Wörtern erschafft er dem 13-jährigen Claude eine Welt, die alles andere als alltäglich scheint und doch, so ahnt man, leider kein Einzelfall ist auf der Welt oder in Österreich, wo der Roman spielt. Claude ist ein ruhiger 13-jähriger Junge, der in Wien als Sohn eines mittelmäßigen Posaunisten und einer Ethnologin heranwächst, die so überambitioniert ist, dass sie ihren Kindern die klangvollen Namen ihrer ethnologischen Vorbilder verpasst hat (Claude und Bronislaw) und dass sie irgendwann mit ihrem neuesten „Studienobjekt“, einem Poncho-tragenden, Panflöte-spielenden Südamerikaner, auszieht – in die andere Hälfte der Wohnung, die kurzerhand einfach gezweiteilt wird und dessen neue Wand nun Claude und seinen Vater von seiner Mutter und seinem Bruder trennt. Damit beginnt Claudes Welt, die bis dahin zwar alles andere als gewöhnlich, aber immerhin ganz in Ordnung war, langsam auseinanderzubröckeln. Denn mit dem Auszug verdünnisiert sich seine Mutter zusammen mit dem Bruder aus seinem Leben. Claudes vorsichtige Annäherungsversuche werden von ihr, aber eigentlich auch von allen anderen exzentrischen Familienmitgliedern als egoistisches Wichtigmachen abgewehrt, als wäre er kein im Stich gelassener 13-jähriger Junge mit dem ganz normalen Bedürfnis nach familiärer Nähe, sondern lediglich ein nerviger, ich-bezogener Dauerjammerer. Als auch sein Vater sich neu verguckt – in die junge, Blockflöte-spielende Mathilda, flüchtet sich Claude immer mehr zu dem einzigen Menschen, der ihm zuhört: seinem serbischen Nachbarn Dirko, der ihn täglich zur Schule fährt, ihm Unterricht im Fach „Hinrichtungen in Wien“ gibt und am Ende auch noch für ihn kocht. Vor allem aber lehrt er Claude, sich als junger Erwachsener in der Welt zurechtzufinden und sich gegen die Hänseleien seiner schnöseligen Mitschüler zu verteidigen. Denn Dirko hat schon in allen Ländern der Welt gelebt und irgendwie auch schon so ziemlich alles erlebt, was man erleben kann. Außerdem fährt Dirko Taxi, und: er hat MS. Seine Taxigäste müssen deswegen stets auf sein Kommando die Handbremse nach oben reißen, um das Auto zum Stehen zu bringen.

„Die allertraurigste Geschichte von allen.“

Als die Situation in der Schule eskaliert und er in eine Schlägerei gerät, wohnt Claude auf einmal auch noch alleine in der Wohnung – seine Mutter ist in Südamerika und sein Vater zieht schließlich zum Job und der schwangeren Mathilda nach Linz. Als einzige Verwandte bleibt ihm nur die „Innere Oma“, die sich allerdings mehr um die konstante Nahrungszufuhr ihres gewaltigen Körpers sorgt als um ihren einsamen Enkel. Immerhin darf Claude jetzt endlich eine „normale“ Schule besuchen, in der er zum ersten Mal gleichaltrige Freunde findet. Und er findet Minako, seine neue japanische Klassenkameradin, die ihn versteht und die seine Zahnlücke vergöttert. Während Claudes egozentrische Eltern die Bezeichnung nicht verdienen – Claudes Vater lässt an seinem Geburtstag unangekündigt drei Chinesen zu Claude in die Wohnung ziehen, die dort einen illegalen Friseursalon eröffnen – baut sich Claude eine eigene Ersatzfamilie aus seinen neuen Freunden auf. Dann schlägt Minako ihm vor, eine eigene Familie zu gründen. Jung und naiv, wie die beiden sind, erscheint ihnen ihr Vorhaben wie der natürlichste Plan der Welt. Ob das bloß gut gehen kann?

 

Man weint, man schmunzelt, und manchmal muss man auch lauthals lachen 

„Die allertraurigste Geschichte von allen“ – so konstatiert der Klappentext und übertreibt damit bei bisschen. Denn Claudes Geschichte ist so herzzerreißend und unter-die-Haut-gehend, so leise und schreit doch so laut, dass man in das Buch kriechen und Claude ganz fest und lange umarmen möchte. In einer meisterhaften Gratwanderung verwebt Sterman hier subtilste Gefühle mit himmelschreiender Ungerechtigkeit. Die größte Kunst ist jedoch vermutlich, dass Stermann es schafft, neben all der Melancholie seine charaktervollen Figuren auch noch einen so authentischen und geistreichen Humor versprühen zu lassen, dass man beim Lesen ob der liebevollen Komik des Öfteren in sich hinein schmunzelt und – und das habe ich auch nicht oft beim Lesen – man vielleicht sogar mehr als einmal lauthals lachen  muss.

Das Buch ist schlicht und einfach großartig, ein Schatz: es ist wunderbar erheiternd und unendlich traurig zugleich.

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Ein klein bisschen Phrasendrescherei für Generation Y

Das Problem mit dem Sich-Entscheiden

Ich schwimme im Meer der tausend Möglichkeiten, in dem ich einige Zeit entspannt vor mich hin treibe, bevor mich dann wieder eine ansteigende Panik überkommt angesichts der  Frage, welches Ufer ich nur ansteuern soll. Die Frage nach dem wohin hängt dann wie ein Damokles-Schwert über mir, lässt mich nicht los und will beantwortet werden, am besten jetzt und sofort. Wohin will ich mit meinem Leben? Was will ich erreichen, was bewirken? Auf welches Leben soll, und dabei drehe ich die Zeit um einige Jahrzehnte voraus, mein 82-jähriges Ich einmal zurückblicken? Kinder ja, lieber heute als morgen – denn ich bewundere junge Mütter – aber nicht, bevor ich noch mindestens 5 Länder ausgiebig bereist habe und mich „ausgelebt“ habe. Ich will nicht ewig in der Stadt leben, sondern irgendwann im Grünen leben, ohne dabei auf die Vorzüge des städtischen Lebens vollends verzichten zu müssen. Mein ultimativer Traum ist es, ein altes Bauernhaus zu sanieren und liebevoll selbst einzurichten, weil: träumen wird man ja wohl noch dürfen.

„Das Leben scheint manchmal ein ständiges Abwägen, eine unendliche Pro-und Contra-Liste …“

Ich will einen Beruf, der mich erfüllt und der sich trotzdem nicht wie einer anfühlt. Am liebsten möchte ich auch noch einmal ins Ausland – aber so lange so weit weg von Familie und Freunden sein? Ist auch nicht ganz so cool. Das Leben scheint manchmal ein ständiges Abwägen, eine unendliche Pro- und Contra-Liste, ein heute hü, morgen hott. Doch das muss es nicht sein, zumindest nicht immer. Oft hilft es schon, etwas mehr im Hier und Jetzt zu leben und etwas weniger an morgen zu denken. Im Nachhinein stellen sich Entscheidungen, über die man sich wochenlang den Kopf zerbrochen hat und die man in den ersten Augenblicken vielleicht schon wieder bereut, nämlich oft als richtig heraus – denn oft passieren danach irgendwann Dinge, die man gar nicht erwartet hat und über die man am Ende doch glücklich ist. Vermutlich wäre das auch im anderen Fall so gewesen, das ist allerdings sowieso sowas von egal, denn was zählt, ist letztendlich das, was man tut, nicht das, was man nicht tut. Denn: „Das Leben ist, was passiert, während du andere Pläne machst“, wie John Lennon es einst so treffend formulierte.

 

Umwege sind spannend und Scheitern ist nicht das Ende der Welt

Auch, wenn wir uns dessen theoretisch bewusst sind – fiese Fragen lassen sich leider nicht auf Knopfdruck abschalten und schleichen sich manchmal mir nichts, dir nichts in unsere Gedanken und Träume. Woher soll ich wissen, welches mein Lebensweg ist, wo ich zwar schon jahrelang dem Elternhaus entwachsen, aber mich deshalb noch lange nicht erwachsen fühle? Wer sagt mir, was ich gut kann, wenn ich das selber noch nicht weiß? Und warum fällt es manchmal so verdammt schwer, eine Entscheidung zu fällen? Auch unbedeutende Entscheidungen zögere ich oft liebend gerne heraus, bin unsicher, ob die Alternative mich nicht doch glücklicher machen würde, zweifle angesichts der vielen anderen Optionen, die das Leben für mich bereithält. Zugleich verfluche ich Menschen, die exakt so denken und sich immer alle Optionen offen halten (Stichwort Silvester) zutiefst. Der Segen, der für viele junge Menschen und vor allem die herzallerliebsten Geisteswissenschaftler heute viel mehr Fluch ist, ist nicht immer leicht anzunehmen. Wir verlieren uns in Zukunftsängsten und Unsicherheiten, oft nicht völlig unbegründet, aber doch zu Unrecht. Vielmehr sollten wir uns öfter zu dem flapsigen, aber nicht umsonst so oft angeführten Spruch ermahnen, das Leben so zu nehmen, wie es kommt.

„Der Weg ist das Ziel.“

Niemand muss heute mehr mit 25 entscheiden, wohin sein restliches Leben nun führt oder was er den Rest seines Lebens arbeiten wird. Uns sind so unendlich viele Türen geöffnet, dass wir getrost auch durch eine zweite oder dritte Tür gehen können, wenn die erste oder die zweite uns wohin führt, wo wir uns nicht wohl fühlen oder wo wir am Ende doch nicht hinwollen. Scheitern gehört dazu, und auch verschlossene Türen müssen nicht auf ewig geschlossen bleiben, sondern öffnen sich uns mit viel starkem Willen, Ausdauer und vielleicht auch einer Portion Glück. Wer nicht sofort weiß, wohin er will, der sollte die Unzahl an Möglichkeiten nutzen, um sich auszuprobieren. Denn auch durch die Ausschlussmethode gelangt man zum Ziel. Hier gilt die Devise „Der Weg ist das Ziel“. Umwege sind spannend, genauso wie man sich nicht vor dem Scheitern fürchten darf. Denn Scheitern gehört zum Leben dazu, und scheitern muss man lernen. Und je früher man das tut, desto besser.

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